Das Ende ist nah

Nachdem 2012 überraschend der Maya-Kalender endete und darum, wie jeder weiß, die Welt unterging (wie sich später herausstellte, handelte es sich zum Glück nur um die Bielefelder Halbwelt), ist nun bekannt geworden, dass am 31.12. der Meier-Kalender endet. Die Familie Meier ist bestürzt und ratlos: „Damit haben wir nicht gerechnet!“, sagt Heinz Meier aus Oer-Erkenschwick. „Wir haben den Kalender schon im letzten November im Fachhandel gekauft und seitdem hat er einwandfrei funktioniert.“ Herr Meier ist pensionierter Realschullehrer und neigt daher nicht zu Gefühlsausbrüchen, doch man sieht ihm den Schock noch an. Mit zitternden Händen zeigt er uns das fragliche Stück: „Hier, schauen Sie, auf Montag folgt Dienstag, Mittwoch und so weiter. Januar, Februar, März, alles schien in Ordnung zu sein. Und nun das!“ Tatsächlich: Nach dem 31. Dezember ist Schluss. Es folgt noch ein leeres Blatt, vielleicht als Hinweis auf das Nichts, das danach vermutlich kommt. Wir fragen an bei der Philosophischen Abteilung der Volkshochschule Ingolstadt. Der dortige Dekan Dr. Kant (nicht verwandt oder verschwägert) will das so nicht gelten lassen. Nach Ernst Bloch seien in der menschlichen Erfahrung des Mangels als Ausdruck einer fundamentalen Nichtigkeit einer Gegenwart durchaus auch Tendenzen auf ein mögliches, volles Sein angelegt. Er könne freilich trotzdem „nicht ausschließen, dass wir alle am Arsch sind“. Die Familie Meier erwägt nun zu klagen, weiß allerdings nicht gegen wen und fühlt sich von den Behörden allein gelassen: „Als ich zur Polizei bin, haben die mich ausgelacht!“ berichtet Herr Meier fassungslos. Nicht einmal auf der Gemeinde habe man ihn verstehen wollen und stattdessen darauf bestanden, dass auch nach dem Ende der Welt Grundsteuer und Abfallgebühren fällig würden. In seiner Not habe er sich an den Hersteller des Kalenders gewandt, doch der habe jede Verantwortung zurückgewiesen. Man habe die Wochentage und Monate nicht erfunden und könne nichts dafür. Er solle sich an die Babylonier halten, die hätten sich das wohl ausgedacht. Ein Anruf bei der irakischen Botschaft blieb jedoch ergebnislos. „Die haben alles auf die USA geschoben und behaupteten, der islamische Kalender sei sowieso nicht betroffen.“ Auch die Physikalisch-Technische Bundesanstalt in Braunschweig fühlt sich nicht zuständig. Sie sei mit der Verbreitung der gesetzlichen Zeit beauftragt, nicht mit deren Herstellung. Das sei vermutlich die Aufgabe des Gesetzgebers, doch weder der Bundestag noch das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie, in dessen Geschäftsbereich die Zeitmessung fällt, waren zu einer Stellungnahme bereit. Die beiden großen christlichen Konfessionen zeigen sich erstaunlich skeptisch, obwohl die Vision einer Endzeit doch zu ihrem Markenkern gehört. „Wir Katholiken haben schlicht und einfach keine Zeit, uns mit jedem dahergelaufenen Weltuntergang zu befassen“, verrät uns ein Kardinal aus einem südlichen Bundesland. „Wir haben schließlich das weltgrößte Immobilienvermögen zu verwalten. Da verbietet sich ein Weltuntergang von selbst.“ Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) verweist darauf, dass sich auf dem letzten Kirchentag keine Mehrheit für einen Weltuntergang gefunden habe. Der zuständige Militärbischof hätte sowieso sein Veto eingelegt. Herr Meier erwägt nun, den Kalender händisch zu ergänzen, zumindest um ein paar Tage: „Meine Frau und ich würden im Januar gerne noch unseren Hochzeitstag feiern.“ Dass dieser kleine, ehrenwerte Betrugsversuch den Weltuntergang tatsächlich abwenden wird, hält Herr Meier allerdings selbst für unwahrscheinlich: „Sagen Sie es nicht meiner Frau, aber das romantische Wochenende auf Sylt habe ich schon abbestellt.“ Die Familie Meier scheint bereit, sich ins Unvermeidliche zu fügen und könnte anderen darin ein Vorbild sein: „Nutzt ja nix. Irgendwann ist eben Schluss.“ Verbraucherschützer bestätigen diese Auffassung, warnen aber vor einem sorglosen Umgang mit der verbleibenden Zeit. Bevor nicht geklärt sei, ob es eine Zukunft gebe, solle jeder jeden Tag so leben, als sei es der letzte.

(Heute in der taz.Die Tageszeitung)

The end is near
After the Mayan calendar ended surprisingly in 2012 and, as everyone knows, the world endet (luckily, it turned out to be only the Bielefeld half-world), it has now become known that on December 31. the Meier calendar ends. The Meier family is dismayed and at a loss: „We didn’t expect that!“ says Heinz Meier from Oer-Erkenschwick. „We bought the calendar from a specialised retailer last November and it has worked perfectly since then.“ Mr. Meier is a retired high school teacher and is therefore not prone to outbursts of emotion, but you can still see the shock. With trembling hands he shows us the piece in question: “Here, look, Monday follows Tuesday, Wednesday and so on. January, February, March, everything seemed fine. And now that! ”Indeed: after December 31st it is over. A blank sheet follows, perhaps as an indication of the nothing that is likely to come afterwards. We inquire at the Philosophical Department of the Ingolstadt Adult Education Center. The local dean Dr. Kant (not related) does not want to accept that. According to Ernst Bloch, in the human experience of deficiency as an expression of a fundamental nullity of a present, tendencies towards a possible, full being are also laid out. Nevertheless, he could “not rule out that we are all fucked up”. The Meier family is now considering to sue someone, but does not know who, and feels left alone by the authorities: „When I went to the police, they laughed at me!“ reports a stunned Mr. Meier. They didn’t even want to understand him in the community and insisted instead that property taxes and garbage fees would still be payable after the end of the world. In his distress, he turned to the manufacturer of the calendar, but they rejected any responsibility. They had not invented the days of the week and months and could not help it. He should stick to the Babylonians, they would have made that up. However, a call to the Iraqi embassy was unsuccessful. „They put the blame on the USA and claimed that the Islamic calendar was not affected anyway.“ The Federal Institute of Physics and Metrology in Braunschweig does not feel responsible either. It is charged with the dissemination of the legal time, not with its production. That is presumably the task of the legislature, but neither the Bundestag nor the Federal Ministry for Economic Affairs and Energy, in whose purview timekeeping falls, were ready to comment. The two great Christian denominations are surprisingly skeptical, even though the vision of an end times belongs to their core brand. “We Catholics simply do not have time to deal with every random end of the world”, reveals a cardinal from a southern federal state. “After all, we have to manage the world’s largest real estate assets. Therefore it is self-evident, that an end of the world is excluded. ”The Evangelical Church in Germany (EKD) points out that no majority for an end of the world was found at the last church day. The responsible military bishop would have vetoed it anyway. Mr. Meier is now considering adding to the calendar by hand, at least a few days: „My wife and I would like to celebrate our wedding anniversary in January.“ However, Mr. Meier considers that this small, honorable attempt to defraud will actually avert the end of the world unlikely: „Don’t tell my wife, but I have already canceled the romantic weekend on Sylt.“ The Meier family seems ready to accept the inevitable and could be a role model for others: „It’s useless. At some point it will end.” Consumer advocates confirm this view, but warn against careless use of the remaining time. Before it is clear whether there is a future, everyone should live every day as if it were the last.

(Pubished today in the newspaper taz. Die Tageszeitung)