Neues aus der Bahn (5)

Am Bahnsteig lausche ich der Unterhaltung eines älteren Paares. Sie: „Woher weiß man denn, wo beim Zug vorne ist?“ Er tut das einzig Vernünftige und schweigt. Vielleicht aber weiß er es auch nicht. Später im Zug fragt der Zugführer per Durchsage, ob ein Arzt unter den Fahrgästen sei. In Wagen 3 werde einer benötigt. Sie steht sofort auf und nickt ihrem Begleiter zu. Ich beschließe, nie wieder krank zu werden.

Deutsche Bahn news – I listen to an older couple talking on the platform. She asks, „How do you know which way is at the front of the train?“ He does the only sensible thing and remains silent. But maybe he doesn’t know either. Later on the train, the conductor asks over the loudspeaker if there is a doctor among the passengers. One is needed in car 3. She immediately stands up and nods to her companion. I resolve never to get sick again.

Wandertag bei Familie Rorschach

Jeden Samstag mussten die Rorschachbuben mit Vater und Hund aufs Land fahren und wandern, wie es der Vater nannte. Die Mutter hatte sich wie immer ein Attest besorgt, da konnte der Vater nichts machen. Die Buben bettelten und benzten, sie würden lieber ins Kino gehen oder wenn es sein müsse auch ins pathologische Museum, aber Vater Rorschach war unnachgiebig. Das Schlimmste aus Sicht der Buben war jedoch, dass man eh nie weit kam und sich das Wandern tatsächlich darin erschöpfte, dass der Vater an jeder Pfütze und jedem Teich Halt machte und seine Söhne dazu zwang, stundenlang die Landschaft zu interpretieren. Sogar der Hund wurde gefragt. Wenn nicht jeder mindestens einmal „Mutter“ oder „Mutters Schoß“ gesehen haben wollte, war der Vater für den Rest des Tages aufgebracht und unausstehlich.

Hiking Day with the Rorschach Family – Every Saturday, the Rorschach boys had to go to the countryside with their father and dog and go hiking, as their father called it. Their mother, as always, had obtained a doctor’s note, and the father couldn’t do anything about it. The boys begged and pleaded that they would rather go to the movies, or, if necessary, to the pathology museum, but Father Rorschach was relentless. The worst part, from the boys‘ perspective, however, was that they never got very far anyway, and the hiking essentially consisted of their father stopping at every puddle and pond, forcing his sons to spend hours interpreting the landscape. Even the dog was consulted. If everyone didn’t want to see „Mother“ or „Mother’s Lap“ at least once, their father would be upset and unbearable for the rest of the day.

Guter Rat (7)

Es war sehr schön, es hat mich sehr gefreut, aber nun ist es an der Zeit, mich für heute allein zu lassen.

Good advice – It was very nice, I enjoyed it very much, but now it’s time to leave me alone for today. (Please leave soon/go slowly.)

Am Tag vor dem Tag danach (8)

Als dann endlich doch der Atomkrieg ausbrach, konnte sich keiner erklären, wie es dazu gekommen war. So viele Schultern wurden noch nie gleichzeitig gezuckt. Selbst die Bombe war sich nicht sicher, ob das jetzt wirklich hatte sein müssen. Weil sie eine intelligente Bombe war, beschloss sie, mit dem Weiterfallen und Explodieren noch eine Weile zu warten, bis sie sich darüber im Klaren wäre, ob sie tatsächlich schon ihre Existenz beenden und ihr Schicksal erfüllen wollte. Einer ihrer Schaltkreise beharrte darauf, dass es durchaus einen freien Willen gebe und man gar nichts müsse, nur weil irgendein Mensch sich das so ausgedacht habe. Die Bombe schwebte also eine Zeit lang über der Stadt, während ihre Schaltkreise miteinander stritten. Weit unter ihr schauten einige Menschen ungläubig nach oben, während die Mehrheit noch schnell ETFs kaufte, weil man in einer Baisse ja bekanntlich investieren soll. Irgendwann wurde es der Schwerkraft zu dumm und sie beendete das unwürdige Schauspiel.

The Day Before the Day After – When nuclear war finally broke out, no one could explain how it had happened. Never before had so many shoulders shrugged at once. Even the bomb wasn’t sure if it really had to happen. Because it was an intelligent bomb, it decided to wait a while before continuing to fall and explode, until it was clear whether it really wanted to end its existence and fulfill its destiny. One of its circuits insisted that free will does indeed exist and that one doesn’t have to do anything just because some human thought it up. So the bomb hovered above the city for some time while its circuits argued with each other. Far below, some people looked up in disbelief, while the majority quickly bought ETFs because, as we all know, you’re supposed to invest in a bear market. At some point, gravity got tired of it, and it ended the undignified spectacle.