Im Café Sperl in Wien

Am Abend, kurz bevor das Sperl um Zehn schließt, die Touristen sind weitergezogen, im hintersten Eck sitzt ein junges Paar seit Stunden vor leeren Kaffeetassen, weil es den ganzen Abend mit den Mündern aneinanderklebt, neben dem Windfang kramt ein Verwirrter in seinen drei Plastiktüten nach Dingen, die er wie seinen Verstand schon vor Zeiten verloren hat, die Ober bringen die Welt derweil in Ordnung und schicken einen frühen Nachtschwärmer wieder auf den Weg, da leert man sein Glas und akzeptiert, mehr oder weniger ernüchtert, was man nicht ändern kann, dass nämlich morgen Sonntag ist und das Sperl deswegen geschlossen hat.

At Café Sperl in Vienna – In the evening, just before the Sperl closes at ten, the tourists have moved on, in the furthest corner a young couple has been sitting in front of empty coffee cups for hours because they have been stuck together with their mouths all evening, next to the vestibule a confused man is rummaging through his three plastic bags for things that he lost, like his mind, a long time ago, the waiters are putting the world in order and sending an early night owl on his way, so I empty my glass and accept, more or less sobered, what I cannot change, namely that tomorrow is Sunday and that is why the Sperl will be closed.

Im Café Vollpension in Wien

In der MUK, der Musik- und Kunst-Privatuni der Stadt Wien findet man eine der Filialen des sogenannten Generationencafés, das alten Leuten mit geringer Pension Beschäftigung gibt und einen Zuverdienst erlaubt. Darum schmeckt der Kuchen wie bei Oma, wobei Leute, deren Oma auch das Teewasser hat anbrennen lassen, vermutlich lieber woanders hingehen würden. Dazu besteht hier aber wirklich kein Grund. Die Einrichtung des Cafés ist laut Selbstbeschreibung „Turbokitsch“. Ob das zutrifft, ist wohl Geschmacksache, aber keineswegs kitschig, sondern schön ist, dass kein Stuhl dem anderen gleicht. Das ist gut so, denn schließlich gilt das auch für die Menschen, die auf den Stühlen sitzen. Nur was den Kuchen betrifft, darf es morgen gerne das Gleiche sein. Und übermorgen auch.

At Café Vollpension in Vienna – In the MUK, the private music and art university of the city of Vienna, you will find one of the branches of the so-called Generation Café, which gives old people with a low pension an occupation and allows them to earn extra money. That’s why the cake tastes like grandma’s, although people whose grandma also let the tea water burn would probably prefer to go somewhere else. But there’s really no reason for that here. The café’s interior is, according to its own description, „turbo kitsch“. Whether that’s true is a matter of taste, but it’s by no means kitschy but nice that no two chairs are the same. That’s a good thing, because that also applies to the people sitting on the chairs. But as far as the cake is concerned, it can be the same tomorrow. And the day after tomorrow too.

Im Café Ministerium in Wien

Im Café Ministerium gibt es alles, wofür man ins Kaffeehaus geht, vor allem Ruhe und Frieden. Um hineinzukommen, muss man keine Beziehungen haben und keinen Antrag stellen, das sollte man wissen. Aber auch wenn es unangenehm ist, es auszusprechen: Das Beste am Café Ministerium ist, dass man, wenn man drin ist, nicht das furchtbare Kriegsministerium sehen muss, das draußen breitbeinig am Ring herumlungert und jedem mit einer Tracht Augenprügel droht, der es schief anschaut. Darum: lieber ein Achterl zu viel bestellen, damit man länger sitzen bleiben kann, aber nicht so viele Achterl, dass man alles doppelt sieht, denn das wäre, weil man ja doch irgendwann wieder hinausmuss, nicht auszuhalten.

At the Café Ministry in Vienna – At the Café Ministry you can find everything you go to a coffeehouse for, especially peace and quiet. You don’t have to have connections or apply to get in, that’s something you should know. But even if it’s unpleasant to say: the best thing about the Café Ministry is that when you’re in, you don’t have to see the terrible War Ministry, which is lounging around outside on the Ring with its legs apart and threatening to punch anyone who looks at it the wrong way. So it’s better to order an eighth of a liter too many so that you can stay seated longer, but not so many eighths that you see everything twice. That would be unbearable, because you’ll have to leave at some point anyway.

Währenddessen auf der anderen Seite des großen Teichs

Auf Ellis Island kann man im Museum gegen eine Gebühr von 10$ eine halbe Stunde lang in der Datenbank der Passagierlisten aller Schiffe, die Einwanderer hierhergebracht haben, nach Familienanghörigen suchen. Das hätten sich die Leute damals auch nicht träumen lassen, dass ihnen die bucklige Verwandtschaft, der sie mehr oder weniger glücklich entflohen waren, Jahrzehnte später noch auf den Fersen sein würde. Anders als die armen Schweine, die auf dieser Insel in Sichtweite der verlogenen grünen Dame teils für Monate auf die Erlaubnis warten mussten, das Boot nach Manhattan betreten zu dürfen, darf ich schon am frühen Abend wieder weg. Der Andrang ist aber so groß, dass die anlandenden Fähren nur einen kleinen Teil der Passagiere mitnehmen und ich eine Stunde lang inmitten einer Masse mit den Händen plappernder Italiener im Regen warten muss. Ein relativ authentisches Ellis-Island-Erlebnis also.

Meanwhile, on the other side of the pond – On Ellis Island, for a fee of $10, you can spend half an hour in the museum searching for family members in the database of passenger lists of all ships that brought immigrants here. People back then would never have dreamed that the hunchbacked relatives they had more or less happily escaped would still be on their heels decades later. Unlike the poor bastards who had to wait for months on this island within sight of the lying green lady for permission to board the boat to Manhattan, I am allowed to leave early in the evening. But the crowds are so big that the ferries that land only take a small number of passengers and I have to wait for an hour in the rain in the middle of a crowd of Italians chattering with their hands. A relatively authentic Ellis Island experience.

Im Café Diglas in Wien

Das Diglas scheint immer sehr gut besucht zu sein. Man ist auf den Massenandrang aber gut vorbereitet und betreibt ein mechanisches Klavier, das die Wünsche des touristischen Publikums erfüllt, bevor sie noch geäußert werden und das, ohne mit den Augen zu rollen und einen urwienerischen Fluch zu nuscheln. Der Platzanweiser ist ein hagerer Riese, der den Überblick hat und darüber hinaus alle urwienerischen Flüche in zehn Sprachen nuscheln kann.

At Café Diglas in Vienna – The Diglas always seems to be very busy. But they are well prepared for the crowds and operate a mechanical piano that fulfills the wishes of the tourist public before they are even expressed and does so without rolling his eyes or mumbling a typical Viennese curse. The usher is a gaunt giant who has the overview and can also mumble all the typical Viennese curses in ten languages.

Freundlicher Empfang

Eine Stunde nördlich von Montreal liegt ein kleiner See umgeben von Wald und tausenden weiteren kleinen Seen, die alle nicht sehr tief und nicht sehr kalt sind, aber groß genug für ein paar Zweibeiner, ein Kajak und eine Menge Viehzeug, das die Besucher aus der Stadt sehr exotisch findet und neugierig guten Tag sagt. Im Wasser tummeln sich kleine Fische, die mir ganz sacht den Sonnenbrand vom Rücken nagen – anscheinend schmecke ich noch gut. Auf dem Wasser tanzen die Wasserläufer, auf Französisch ‚les danseuses‘. Ich würde ja gerne mittanzen, aber das würde die kleinen Fische vertreiben, also lasse ich es. Eine handtellergroße Libelle landet auf meinem Oberarm, offensichtlich werde ich als Rastplatz für tauglich befunden, ein Hirsch schaut neugierig aus dem Gebüsch, was da schon wieder los ist, der Biber aber lässt sich ungern beim Bäumefällen stören und macht das auch unmissverständlich klar. Als dann langsam der Tag zu Ende geht, hört man den Loon schreien. Er scheint sehr traurig zu sein, aber tatsächlich ruft er nur seine Gattin herbei: Das müsse sie sich ansehen! Leider sind dann auch die Mücken sehr begeistert über den so unerwartet reich gedeckten Abendbrottisch und laben sich dran.

Friendly welcome – One hour north of Montreal there is a small lake surrounded by forest and thousands of other small lakes, none of which are very deep or very cold, but big enough for a few two-legged creatures, a kayak and a lot of animals that find the visitors from the city very exotic and say hello curiously. Small fish are swimming in the water, gently gnawing the sunburn off my back – apparently I still taste good. The water striders, in French ‚les danseuses‘, are dancing on the water. I would like to dance with them, but that would scare the small fish away, so I don’t. A dragonfly the size of a palm lands on my upper arm, I am obviously deemed suitable as a resting place, a deer looks curiously out of the bushes to see what is going on again, but the beaver doesn’t like to be disturbed while felling trees and makes that very clear. As the day slowly comes to an end, you can hear the loon screaming. He seems very sad, but in reality he is just calling his wife over: she has to look at it! Unfortunately, the mosquitoes are also very excited about the unexpectedly richly laid dinner table and feast on it.

Im Café Naschkätzchen in Wien

Ob aus einer Katze noch einmal ein Kätzchen wird, hängt wohl vor allem davon ab, wie sie sich beträgt. Diese hier mag es lieber süß als salzig, aber gerne von allem ein bisschen. Ansonsten macht sie wie alle Katzen, was sie will. Kratzen tut sie aber nicht und bisher scheint auch noch nichts zu Bruch gegangen zu sein, doch darüber würden Felinophile eh hinwegsehen. Und weshalb das Café inzwischen im Tiefparterre liegt, ist jedem Katzenfreund klar, der gesehen hat, wie oft sich eine Katze im Kreis dreht, bis es endlich gemütlich ist. Hier ist es sehr gemütlich.

At the Café Naschkätzchen in Vienna – Whether a cat will become a kitten again depends mainly on how it behaves. This one prefers sweet to salty, but likes a little of everything. Otherwise, like all cats, it does what it wants. But it doesn’t scratch and so far nothing seems to have been destroyed, but felinophiles would overlook that anyway. And why the café is now on the lower ground floor is clear to every cat lover who has seen how often a cat turns in circles until it finally feels comfortable. It is very comfortable here. (Naschkätzchen means ’sweet tooth‘, literally ’sweet kitten‘)