Aus dem Familienalbum (16)

Meine Urgroßtante Gerda sei bis ins hohe Alter eine attraktive Frau gewesen, erzählten meine Großonkel. Auf den ersten Blick schien das unglaubwürdig zu sein, denn die Onkel waren potthässlich mit ihren verbeulten Visagen und zahnlosen Mündern. Noch als Gerda schon lange tot war, denn auch sie war zu ihrer eigenen Verwunderung nicht unsterblich, senkten ihre Söhne die Stimme, wenn sie von ihr sprachen. Schön, ja – sie habe immer sehr auf sich geachtet, doch kalt wie Stein sei sie gewesen. Alle, auch ihr Gatte, fürchteten ihren Zorn, denn nicht nur ihre Ohrfeigen konnten Gehirnerschütterungen verursachen, vor allem ihre Kopfstöße führten dazu, dass alle männlichen Familienmitglieder in der Nachbarschaft bekannt waren als „die mit den Boxernasen und Blumenkohlohren“. Es war eben eine andere Zeit.

From the family album
My great-grandaunt Gerda was an attractive woman until old age, my great-uncle said. At first glance, that seemed unbelievable, for the uncle were butt-ugly with their dented faces and toothless mouths. Even when Gerda was long dead, for she too was not immortal to her own astonishment, her sons lowered their voices when they spoke of her. Nice, yes – she always took great care of herself, but she was as cold as stone. Everyone, including their spouse, feared their anger, because not only their slaps could cause concussions, especially their head butts caused all the male family members to be known in the neighborhood as „those with the boxer noses and cauliflower ears“. It was a different time.