Unorganisierte Kriminalität

Neulich war ich in der Oper und wollte in der Pause etwas trinken, als ich in der Bar einen schon gedeckten Tisch sah, der offenbar vom ehemaligen US-Präsidenten Trump reserviert worden war. Darauf standen vier Teller mit kleinen Schweinereien, was man halt unter fremden Leuten so isst, wenn man weiß, dass einen eh niemand riechen kann: Fisch und Stinkekäse. Sogar der Sekt war schon eingeschenkt. Das Lokal wurde langsam voll, die Schlangen vor der Bar wurden länger, aber niemand kam, um an dem reservierten Tisch Platz zu nehmen. Immer mehr Leute sahen den Namen auf der Tischkarte und wurden zunehmend unruhig, die Nachricht verbreitete sich. Manche lachten verächtlich, andere tuschelten und weiter hinten reckten einige die Hälse. Ein soignierter Herr, dem Habitus nach mindestens Vorsitzender einer Wagnergesellschaft, konnte nicht mehr an sich halten, nahm eines der Gläser vom Tisch und leerte es in einem Zug. Triumphierend sah er sich um und nickte einigen Leuten auffordernd zu. Dann ging es sehr schnell. Ein Getränk habe ich leider nicht mehr erhaschen können, da waren ein paar ältere Damen flinker als ich, aber immerhin noch ein kleines Stück Brot blieb übrig. Man konnte es fast mit den Händen greifen: Es war ein Attentat, ein kollektiver Akt des Widerstands der alten Welt gegen die Barbarei. Nicht ein Wort war gefallen und doch herrschte Einvernehmen. – Ein paar Minuten später erschien eine kleine Gruppe im Lokal, vier prollige Gestalten in zu bunter Kleidung und mit Oberarmtätowierungen, die es lustig fanden, unter falschem Namen reserviert zu haben. Weniger lustig fanden sie, dass der Tisch geplündert worden war. Eine Frau aus der Gruppe brach in Tränen aus, sie habe sich das ganze Jahr auf diesen Abend gefreut, ob denn keiner etwas gemerkt habe. Die Stille, die nun plötzlich eintrat, war ohrenbetäubend. Nur der Krümel, der aus meinem Mundwinkel zu Boden fiel, machte ein hässliches Geräusch.

Disorganized Crime – I was at the opera the other day and wanted to have a drink during the intermission when I saw a table in the bar that had already been set and had apparently been reserved by former US President Trump. On it were four plates with canapés, what you eat among strangers when you know that nobody can taste you anyway: fish and stinky cheese. Even the champagne was already poured. The restaurant was slowly filling up, the queues in front of the bar were getting longer, but nobody came to take a seat at the reserved table. More and more people saw the name on the place card and became increasingly concerned, and the news spread. Some laughed scornfully, others whispered, and further back some craned their necks. A soigné gentleman, according to habit at least the chairman of a Wagner society, could no longer contain himself, took one of the glasses from the table and emptied it in one gulp. He looked around triumphantly and nodded encouragingly to a few people. Then it happened very quickly. Unfortunately, I couldn’t get hold of a drink, some older ladies were quicker than me, but at least a small piece of bread remained. It was almost tangible: it was an assassination, a collective act of old-world resistance to barbarism. Not a word was spoken and yet there was agreement. – A few minutes later a small group appeared in the restaurant, four chubby characters in overly colorful clothes and with upper arm tattoos, who thought it was funny to have reserved under false name. They found it less amusing that the table had been plundered. A woman from the group burst into tears, she had been looking forward to this evening all year long, had nobody noticed anything. The silence that suddenly fell was deafening. Only the crumb falling from the corner of my mouth made an ugly sound.